Als Vermögensplanerin hatte ich das Privileg, viele Familien dabei zu begleiten, die Komplexität zu bewältigen, die mit einem generationenübergreifenden Vermögen einhergeht. Ich lerne immer wieder Neues, wenn ich mit ihnen zusammenarbeite, und das bereitet mir grosse Freude und ist mir eine Ehre. Ich glaube, dass wir Spitzenleistungen erreichen können, wenn wir das, was wir tun, an jedem Tag unseres Lebens mit Leidenschaft tun. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass nicht Geld das unbeständigste Element ist, wenn man ein Familienunternehmen führt – es sind die Gefühle.
Eine Geschichte, an die ich mich seit Jahren erinnere, ist die einer Familie, die ich in meinen ersten Berufsjahren als Juristin kennengelernt habe. Meine Kollegen und ich haben einige rechtliche Aspekte geregelt, als die Familie ihr Geschäft in der Region ausbaute. Obwohl ich damals noch keine Vermögensplanerin war, verfolgte ich ihr Aktivitäten mit Bewunderung – und später mit Bedauern.
Jahre später, in meiner jetzigen Rolle, in der ich Familien direkt berate, habe ich über ihre Geschichte nachgedacht, vor allem darüber, was sie uns dazu erzählt, wie Geheimnisse, Rivalität und schlechte Kommunikation erfolgreiche Unternehmen zerstören können. Ihre Fehler (ich habe die im Folgenden genannten Namen und einige Details geändert, um ihre Anonymität zu schützen) stellen gewissermassen ein Modell dar, mit dem sich ähnliche Fehler vermeiden lassen.
Erben, die nichts mit einem blühenden Vermächtnis anfangen können
Die Familie hatte ihr Vermögen aus dem Nichts aufgebaut. Was in den 1970er Jahren als einzelnes Transportunternehmen begonnen hatte, war zu dem Zeitpunkt, als ich die Familie kennenlernte, zu einem mittelgrossen Lieferkettenimperium geworden, das Industriekunden in der gesamten Region bediente. Das Unternehmen war angesehen, profitabel und tief mit den Familienwerten verwurzelt. Der Patriarch an der Spitze des Unternehmens, Herr Vega, war eine strenge, aber charismatische Persönlichkeit und schon weit über 70 Jahre alt.
Nach aussen hin mag die Familie wie ein Musterbeispiel für den Erfolg eines Mehrgenerationenunternehmens gewirkt haben, aber hinter dieser Fassade schien es Probleme zu geben. Der Patriarch hatte zwei Söhne: Nennen wir den älteren Héctor und den jüngeren Martín. Beide arbeiteten im Unternehmen mit, aber ihre Wege und Persönlichkeiten waren sehr unterschiedlich.
Héctor ging methodisch und vorsichtig vor. Er hatte einen MBA-Abschluss aus den USA und war mit grossen Ideen nach Hause gekommen, um das Unternehmen zu modernisieren – Dinge wie ERP-Systeme, digitale Logistik und globale Expansion. Martín hingegen war eher ein cleverer Geschäftemacher. Er hatte keine formale kaufmännische Ausbildung, aber ein Händchen dafür, lukrative Verträge abzuschliessen und langfristige Kundenbeziehungen zu pflegen.
Unter vier Augen lobte Herr Vega oft Martíns Instinkte, beklagte sich aber über seine Leichtsinnigkeit. Bei Héctor schätzte er die Disziplin, befürchtete aber, dass ihm für die Unternehmensführung das Charisma fehlte. Ich erinnere mich, wie er meinem Chef sagte: «Jeder von ihnen ist eine Hälfte der Führungsperson, wie ich sie mir wünsche. Zusammen wären sie perfekt. Aber sie werden niemals zusammenarbeiten.» Darin lag das Problem, und im Nachhinein scheint er recht gehabt zu haben.
Zu wenig Klarheit führt zu Geheimnistuerei und Misstrauen
Bei der Nachfolgeplanung geht es nicht immer nur um die Auswahl einer Führungskraft, sondern oft auch darum, Klarheit zu schaffen. Vielleicht hat sich Herr Vega viel zu lange an seine Autorität geklammert und sich geweigert, einen Nachfolger eindeutig zu benennen. Stattdessen erzählte er seinen Söhnen in vertraulichen Gesprächen jeweils etwas anderes.
Héctor gegenüber deutete er an, dass er qua Geburt einen Anspruch auf das Unternehmen habe. Er sprach über Vermächtnis, Tradition und darüber, dass der Älteste die Last der Führung tragen müsse. Martín versprach er als Anerkennung für seine kaufmännischen Fähigkeiten die Kontrolle. Beide Söhne wussten nicht, was dem jeweils anderen gesagt worden war.
Die übrige Familie – Frau Vega, die Töchter und die Enkelkinder – schienen weitgehend im Dunkeln zu tappen. Ich nehme an, sie glaubten, dass Herr Vega, wenn die Zeit gekommen sei, das Richtige tun würde. Aber wie so oft bei der Nachlassplanung lief die Zeit davon, es es wurde nie für Klarheit gesorgt.
Rivalität unter Geschwistern statt Führung
Zwischen den Brüdern gab es schon lange Zeit Spannungen, aber die Situation verschärfte sich, als Herr Vega einen leichten Schlaganfall erlitt. Zwar erholte er sich, doch begannen seine körperlichen und geistigen Kräfte zu schwinden.
So entstand ein Machtvakuum. Héctor war der Meinung, dass es an der Zeit war, das Ruder in die Hand zu nehmen, und begann, das Managementteam umzugestalten, externe Beraterinnen und Berater hinzuzuziehen und die Abteilungen umzustrukturieren. Martín betrachtete dies als feindliche Übernahme und begann, wichtige Kundenbeziehungen abzuschotten, wobei er sogar die Unternehmensabläufe umging, um Geschäfte abzuschliessen. Er baute sich eine eigene loyale Fraktion innerhalb des Unternehmens auf, vor allem innerhalb des Verkaufs- und Betriebspersonals.
Ihr Zwist wurde öffentlich, etwa durch Auseinandersetzungen im Vorstand, widersprüchliche Entscheidungen und sogar lautstarke Streits vor Mitarbeitenden. Der Kundschaft und den Lieferanten blieb das nicht verborgen, und auch einem grossen Konkurrenten nicht.
Anfälligkeit für ein Übernahmeangebot
Mitten in diesem Streit landete ein unerbetenes Übernahmeangebot auf dem Tisch der beiden. Ein grösseres multinationales Unternehmen im selben Sektor sah die Chance, das Unternehmen der Familie Vega zu übernehmen und in einen profitablen Markt zu expandieren. Das Angebot war grosszügig – so grosszügig, dass es die Situation der Familie auf Generationen hinaus grundlegend verändern konnte. Aber es hing davon ab, dass der Vorstand innerhalb eines Monats einstimmig entschied.
Leider wurde die Situation danach ziemlich chaotisch. Héctor schien das Angebot als Beleidigung aufzufassen und behauptete, das Unternehmen sei nicht wirklich in Not, sondern befinde sich lediglich in einer Übergangsphase. Für Martín hingegen war es ein goldener Fallschirm. Nach den Berichten der anderen Familienmitglieder stellte sich seine Einstellung folgendermassen dar: «Warum um die Kontrolle streiten, wenn wir alle reich werden können?»
Nach meinen Informationen war die übrige Familie gespalten. Einige Mitglieder schienen der Spannungen überdrüssig zu sein und machten sich Sorgen um die Gesundheit von Herrn Vega. Sie neigten eher zu Martins Ansicht. Andere waren der Meinung, dass Héctor eine Chance verdient habe, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen.
Von der verpassten Chance zur Verdrängung
In Ermangelung einer klaren Führung oder eines Nachfolgeplans konnte keine Entscheidung getroffen werden, und die Frist verstrich. Der Übernahmeinteressent spürte offenbar die Instabilität und zog das Angebot zurück – nur um sechs Monate später mit einem feindlichen Übernahmeangebot zu einer viel niedrigeren Bewertung zurückzukommen.
Mit dem Bekanntwerden der Familienfehde verliessen wichtige Mitarbeitende das Unternehmen, Kundinnen und Kunden zogen sich zurück, und die Stimmung im Unternehmen verschlechterte sich. Der Vorstand, der sich nicht einig und zugleich durch die Situation erschöpft war, stimmte schliesslich dafür, das niedrigere Angebot anzunehmen, um das Durcheinander zu beenden.
Die Übernahme nahm ihren Lauf, und die Familie verlor leider die Kontrolle über das Unternehmen, das Herr Vega aus dem Nichts aufgebaut hatte. Der endgültige Verkaufspreis lag deutlich unter dem ursprünglichen Angebot. Aber noch schlimmer war, dass der Zusammenhalt der Familie, der einst ihre grösste Stärke war, zerbrach. Zwar verfolgte ich diese Geschichte nur als Juristin, doch war ich sehr betrübt über das emotionale Leid, das die Familie ertragen musste.
Nachfolgeplanung: was die Familie falsch gemacht hat
Als Vermögensplanerin bin ich der Ansicht, dass die Geschichte der Familie Vega wichtige Lektionen für alle Familienunternehmen enthält. Vor allem glaube ich, dass man die Nachfolge nicht improvisieren kann. Und Geheimniskrämerei, auch wenn sie nicht in böser Absicht geschieht, führt oft zu Verwirrung und Unmut.
Das Unternehmen der Familie Vega schien alles zu haben, was notwendig ist – Vermögen, Ansehen und Möglichkeiten. Die Familie verlor all dies nicht durch Marktkräfte oder einen wirtschaftlichen Abschwung, sondern aufgrund von Stolz, Schweigen und Rivalität. Als Vermögensplanerin betrachte ich es als eine Ehre, meiner Kundschaft dabei zu helfen, ihr Vermögen zu mehren und zu schützen. Vor allem aber sehe ich es als meine Aufgabe an, sie dabei zu unterstützen, die familiäre Harmonie zu bewahren – denn ist diese erst einmal verloren, kann kein noch so grosses Vermögen sie wiederherstellen.
Wenn Sie mehr über Vermögensplanung erfahren und weitere Fallstudien lesen möchten, sehen Sie sich unseren Leitfaden «360 Wealth Management» an.