Die Kapitalkosten haben sich im vergangenen Jahr wieder normalisiert, und nach dem Rücksetzer im letzten Jahr sind die Renditeerwartungen über das gesamte Risiko- und Währungsspektrum hinweg deutlich gestiegen. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen Risiken und Chancen zu Beginn dieses Jahres deutlich besser als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Es gibt wieder Rendite in den Portfolios – das haben wir seit fast 10 Jahren nicht mehr erlebt.
Die US-Wirtschaft stellt nach wie vor ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis
Im Jahr 2022 fiel vor allem auf, wie unempfindlich die US-Wirtschaft gegenüber Änderungen der Leitzinsen zu sein schien. Ihre Fähigkeit, innerhalb von nur neun Monaten um 425 Basispunkte gestiegene Zinsen zu bewältigen, ohne dass dabei etwas in die Brüche geht, ist schlichtweg beachtlich. Im Nachhinein betrachtet, ist diese Fähigkeit vor allem auf die starke Finanzlage des US-Privatsektors zurückzuführen.
Die US-Haushalte können immer noch auf pandemiebedingte überschüssige Ersparnisse zurückgreifen, während die Belastung durch den Schuldendienst dank eines Jahrzehnts niedriger Zinssätze historisch niedrig ist. So haben die Konsumausgaben in den USA sogar inflationsbereinigt wieder das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Der Sektor börsenkotierter US-Unternehmen kann nach wie vor davon profitieren, dass fast 90% seiner Schulden zu festen Zinssätzen mit einer durchschnittlichen Laufzeit von sieben Jahren finanziert werden. Es wird noch einige Zeit dauern, bis sich die höheren Zinssätze auf die Finanzierungskosten der Unternehmen auswirken.
Inflation ist viel besser, als man meint
In Bezug auf die Inflation ist zu sagen, dass die Inflationsraten im Jahresvergleich die in den letzten Monaten erzielten unterschwelligen Fortschritte verschleiern. Tatsächlich ging die Inflation in den USA im zweiten Halbjahr 2022 drastisch zurück. Dem jüngsten Wert für die US-Gesamtinflation zufolge schwächte sich diese im Dezember den sechsten Monat in Folge ab. Unabhängig vom Mass für die Gesamtinflation ist die annualisierte Wachstumsrate sowohl in den letzten drei als auch in den letzten sechs Monaten allgemein auf unter 2% gesunken.
Zugegebenermassen trugen niedrigere Lebensmittel- und Energiepreise am meisten zu diesem Rückgang bei, und es bleibt abzuwarten, ob die jüngste Volatilität bei diesen Inflationskomponenten dauerhaft nachgelassen hat. Die Verbesserung erfolgt jedoch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Straffungsmassnahmen der Fed noch kaum in der Realwirtschaft angekommen sind. Stattdessen haben sich die Engpässe in der Versorgungskette weitgehend aufgelöst, was uns zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass diejenigen, die Anfang 2022 die Inflation als vorübergehend einschätzten, vielleicht doch nicht ganz falsch lagen.
Die Fed will vorerst keine Erholung bei riskanten Anlagen
Gleichwohl sieht sich die Fed derzeit mit einem Problem und einer Einschränkung konfrontiert. Das Problem ist, dass die amerikanische Währungsbehörde zwei Jahrzehnte lang mit der Herausforderung gekämpft hat, eine Deflation zu vermeiden, und nun Angst hat, diskreditiert zu werden. Sie ist bereit, alles zu akzeptieren, sogar eine Rezession, um die Inflation wieder einzudämmen. Andererseits ist die Fed in diesem epischen Kampf gegen die postpandemische Inflation in ihrer Handlungsfähigkeit durch den Wahlkalender der USA auch eingeschränkt, denn 2024 findet die Präsidentschaftswahl statt.
Die Wirtschaft darf nicht in eine Rezession stürzen, wenn der Wahlkampf um das Weisse Haus in vollem Gange ist. Daher muss die Fed jetzt die Preise im Zaum halten. Sie wird nicht riskieren wollen, dass der Inflationsdruck Ende 2023 anhält und sie während der Wahl zwischen Inflation und Rezession wählen muss. Daher wird die Fed keine verfrühte Lockerung der Finanzierungsbedingungen wollen, und jeder Versuch des S&P 500 zu einer Rally wird mit einer erneuten restriktiven Rhetorik der Fed-Funktionäre beantwortet werden. Diese Situation dürfte anhalten, bis die Fed mit dem Rückgang der Inflation, der vor einigen Monaten einsetzte, zufrieden ist und ihn als praktisch unumkehrbar betrachten kann.
Quantitative Straffung ist künftig das Hauptrisiko
Unternehmensleitungen gehen mit einer vorsichtigen Haltung und gedämpften Investitionsplänen in das neue Jahr, was zum Schutz der Margen beitragen dürfte. Da sich die Hauptsorge der Marktteilnehmer von der Inflation auf das Wachstum verlagert, dürfte sich die Aufmerksamkeit der Anleger zunehmend auf die Ertragsbeständigkeit der Unternehmen – und die Kosten – richten. Was die gerade begonnene Gewinnsaison für das vierte Quartal 2022 betrifft, so wurden die Konsenserwartungen der Analysten zuletzt nach unten korrigiert, wodurch weniger Spielraum für negative Überraschungen bleibt.
Wir sind der Ansicht, dass die Bemühungen der Fed, ihre Bilanz zu verkleinern (das heisst die Liquidität in der Wirtschaft durch quantitative Straffung zu verringern), das grösste Risiko für geldpolitische Fehlentscheidungen darstellen. Dies könnte eines Tages dazu führen, dass die Marktliquidität plötzlich versiegt, wodurch die Grundlage für Finanzturbulenzen geschaffen wäre. Das Kreditwachstum des Privatsektors hat dazu beigetragen, den Liquiditätsabfluss vorerst aufzufangen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die private Kreditnachfrage weiterhin hoch bleibt, wenn sich die US-Wirtschaft nach dem Abflauen des derzeitigen nachpandemischen Booms normalisiert.
Derweil scheinen wird das Schlimmste bereits überstanden zu haben, denn die jüngsten Daten zeigen, dass das weltweite Liquiditätswachstum die Talsohle erreicht hat. Sollte sich das nominale Wachstum nachhaltig abschwächen, wie die jüngsten Inflationszahlen nahelegen, könnte sich die Liquidität wieder von der Realwirtschaft in die Finanzwirtschaft verlagern. Dies könnte dazu führen, dass sich die Anlagekurse weiter stabilisieren.