Eine typische Baisse-Rally
Baissen, also Phasen, in denen die Aktienmärkte gegenüber ihrem letzten Höchststand um mehr als 20% nachgeben, sind alles in allem selten. In den vergangenen 70 Jahren befand sich der S&P 500 insgesamt elf Mal in einer Baisse, bevor er erneut einen Spitzenwert erreichte. Einige dieser Phasen gehörten recht schnell der Vergangenheit an; so beispielsweise die pandemiebedingten Kursverluste 2020 oder der Crash 1987, der als «Schwarzer Montag» in die Geschichte einging. Andere wiederum, wie die Baisse nach dem Platzen der Dot-Com-Blase oder auch der Einbruch im Zusammenhang mit der grossen Finanzkrise, gingen meistens mit schweren Rezessionen oder Turbulenzen an den Finanzmärkten einher und führten zu einem deutlichen Rückgang der Aktienbewertungen. Diese kann man als «langfristige Baissephasen» einstufen. Und schliesslich gab es Baissen, die wir als «zyklisch» bezeichnen würden; sie waren von kürzerer Dauer und letztlich auch schwächer.
Die beiden letztgenannten Baisse-Kategorien waren geprägt von Rallys (mindestens eine, meistens mehrere), in deren Verlauf die Aktienmärkte sich rasch und heftig erholten, bevor sie ihre letzten Tiefstände erneut testeten oder sogar unterschritten. In zyklischen Baisse-Phasen des S&P 500 dauerten die markantesten Episoden für gewöhnlich im Durchschnitt etwas mehr als zwei Monate. Dabei stiegen die Aktienkurse jeweils um rund 12.4%. Insofern war die Sommerrally, durch die US-Aktien bis Mitte August 17.4% gegenüber ihrem Tiefstand vom Juni zulegten, etwas kürzer (sie dauerte lediglich zwei Monate), im historischen Vergleich jedoch stärker.
Das Ende der Sommerrally begann in Jackson Hole
Der kurzfristige Aufwärtstrend wurde letztlich gestoppt, als im Vorfeld des jährlichen Zentralbanksymposiums in Jackson Hole, Wyoming, die restriktive Haltung der US-Notenbank (Fed) deutlicher zutage trat. Viele Marktteilnehmer gingen davon aus, dass die Fed eine gemässigtere Tonlage anschlagen würde, nachdem sich die Inflation auf dem Höchststand befand und die Zinssätze wohl im neutralen Bereich standen. Fed-Chef Jerome Powell enttäuschte die Märkte, die dann rasch eine Neubewertung unter Berücksichtigung eines etwas längeren und aggressiveren Straffungszyklus vornahmen. Per 13. September hat der S&P 500 gegenüber seinem Höchststand vom Januar 2022 um 18% nachgegeben.
Da wir damit rechneten, dass mögliche schlechte Nachrichten einen weiteren Kurseinbruch und anschliessend erneute Tests der letzten Tiefstände auslösen würden, hatten wir unsere Portfolios Mitte August abgesichert. Damit reduzierte sich unsere Aktienquote, ohne dass wir das ausgewogene Portfolio umbauen mussten. Sobald sich zeigt, dass die Märkte die Talsohle erreicht haben, dürfte die Auflösung dieser Position durch Gewinnmitnahmen um einiges einfach sein als der Versuch, frisches Kapital in einem höchstwahrscheinlich nach wie vor volatilen und unsicheren Umfeld zu reinvestieren.
Ausblick zum Jahresende
Die Marktteilnehmer waren vor der Bekanntgabe der Inflationsdaten für den US-Konsumentenpreisindex für August wohl zu enthusiastisch. Es folgte eine massive Verkaufswelle in allen Anlageklassen angesichts der Aussicht auf weitere aggressive Massnahmen der Zentralbank. Auch wenn ein erneuter Test der Aktienmarkttiefstände vom Juni nach wie vor im Bereich des Möglichen liegt, dürfte die Fed ihre restriktive Haltung nach unserer Einschätzung gegen Jahresende angesichts fallender Rohstoffpreise zurückfahren. Was die Unternehmen angeht, so wurden zwar die Gewinnschätzungen ausser im Erdöl- und Erdgassektor allgemein nach unten korrigiert, doch sind die Gewinnmargen vorerst weiter widerstandsfähig. Auf dem Weg aus der finanziellen Repression sucht der Markt vor dem Hintergrund einer extremen Korrektur bei den Kapitalkosten ein neues Gleichgewicht. Das ist zweifelsohne ein schmerzlicher Prozess.
Andererseits aber ist der Ausblick für die erwarteten Renditen heute erheblich besser als noch zu Jahresbeginn. Kurzfristig dürften überraschend gute Inflationszahlen und ein Waffenstillstand in der Ukraine als die beiden Impulsgeber verbleiben, die eine starke Rally bei riskanten Anlagen auslösen könnten. Sollte es in den USA zu einer technischen Rezession kommen, dürften US-Staatsanleihen gegenüber Anleihen, die dem Kreditrisiko ausgesetzt sind, eine Outperformance erzielen. Falls es der Fed gelingt, eine weiche Landung herbeizuführen, wird es sich umgekehrt verhalten. Bis die eingehenden Daten ein ermutigenderes Bild in Bezug auf den Preisdruck in der Wirtschaft zeichnen. Allerdings sind wir darauf vorbereitet, eine fortgesetzte Schwäche an den Märkten zur Neupositionierung unseres Portfolios für 2023 und danach zu nutzen.