Wir befinden uns im Jahr 1855. Von Ihrem Balkon im Boutique Hotel & Restaurant Glacier aus blicken Sie auf das malerische Tal und können das Treiben auf dem unteren und oberen Gletscher beobachten, der das Dorf Grindelwald im Kanton Bern berühmt gemacht hat. Der untere Gletscher ragt 500 Meter aus seiner Schlucht heraus und endet direkt vor der Brücke unterhalb Ihres Hotels. Er ist der einzige Gletscher der Alpen, der 1000 Höhenmeter unterschreitet.
Wie jeden Tag schneiden Ihre Eisarbeiter-Kollegen mit schwerer Ausrüstung und Pferdefuhrwerken Blöcke aus der massiven Eisstruktur und bereiten sie für ihre Reise vor. Einige davon werden per Zug bis nach Paris befördert, wo sie Lebensmittel und Getränke kühlen – denn der elektrische Kühlschrank ist noch nicht erfunden worden.
Die Folgen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen erleben
Nun befinden wir uns im Jahr 2019. Von Ihrem Balkon im Boutique Hotel & Restaurant Glacier aus blicken Sie zur Gletscherschlucht, die Sie heute besichtigen werden. Sie ist eine der Attraktionen von Grindelwald im Kanton Bern. Den unteren Gletscher gibt es nicht mehr, aber Sie werden auf einer Holzbrücke durch seine Schlucht wandern. Sie haben gelesen, dass die beeindruckenden Felswände bis zu 300 Meter hoch sind und dass das Bergwasser direkt in den unter Ihnen liegenden Abgrund stürzt. Für den Nachmittag haben Sie einen Paragliding-Flug gebucht, um das malerische Dorf aus der Vogelperspektive zu betrachten.
Eine bedeutsame Geschichte erzählen
«Justine ist voller Tatendrang, zuverlässig, geistreich und sprühend vor Ideen.»
«Jan ist leidenschaftlich, kreativ, engagiert und manchmal lustig.»
«Warum manchmal?»
«Weil du es manchmal nicht bist.»
Justine und Jan Pyott sitzen auf einem blauen Sofa in der Lobby des Hotels, dessen Renovierung und Wiedereröffnung sie 2018 beschlossen hatten. «Das Boutique Hotel Glacier ist klein und komfortabel ... und es erzählt eine Geschichte», erklärt Justine. Jan beugt sich herunter, um den Hund Zeela zu streicheln, und ergänzt: «Grindelwald hat noch einen zweiten Namen: das Gletscherdorf. Unser Wunsch, die Geschichte der Eisernte und des Gletscherschwunds zu erzählen, war entscheidend für das, was wir aus diesem Hotel gemacht haben.»
Nach unzähligen Tagen in Archiven, Recherchen über innovative Hotelkonzepte und Gesprächen mit den Dorfbewohnern ist das Boutique Hotel Glacier jetzt ein 4-Sterne-Boutique-Hotel mit 28 Zimmern in modernem Design. Um die Geschichte des Gletscherschwunds zu erzählen, hat das Paar drei Grundsätze formuliert, die einen integralen Bestandteil des Geschäftsmodells bilden und aufstrebenden Unternehmern als Inspirationsquelle dienen können.
1) Kunden aufklären
Auch die Mitarbeiter werden ermutigt, die Geschichte des Gletscherrückgangs zu erzählen, und können den Gästen die Stelle unterhalb des Holz-Hotelgebäudes zeigen, wo der untere Gletscher einst endete. «Das ist anschaulich und somit leicht zu verstehen», sagt er. Folgende Botschaften möchten die beiden Eigentümer ihren Gästen übermitteln:
- Weniger Plastik verwenden – «Wenn uns die Gäste um frische Wasserkaraffen für ihre Zimmer bitten, erklären wir ihnen, dass wir diese gerne mit frischem Leitungswasser auffüllen können. Viele unserer internationalen Besucher sind erstaunt über die exzellente Wasserqualität, die wir glücklicherweise in dieser Region haben», erklärt Justine.
- Entscheidungen im Alltag ganz bewusst treffen – «Unsere Küche zum Beispiel baut eigenes Gemüse und Kräuter an. Die Botschaft dahinter lautet: Wenn jeder im Kleinen seinen Beitrag leistet, können wir wirklich etwas bewegen», sagt Jan.
- Recycling – Man sollte sich darüber bewusst sein, wie viel Abfall man jeden Tag produziert. In einem zweiten Schritt sollte man sich über Möglichkeiten informieren, wie sich diese Menge verringern lässt und wie man richtig rezykliert.
«Es ist ein sehr befriedigendes Gefühl, eine E-Mail von einem ehemaligen Gast zu erhalten, der nach seiner Heimkehr etwas bei sich vor Ort verbessert hat», erklären beide und lächeln sich zu. Trotzdem betonen sie auch, wie wichtig es ist, realistische Erwartungen zu haben und den Gästen nichts aufzuzwingen. «Wenn die Gäste Interesse zeigen, werden sie auch das Gespräch suchen.»
2) Das eigene Geschäft nachhaltig betreiben
So hat das Paar in seinem Betrieb den Ansatz ‘Creating Shared Value’ approach of Porter/Kramer (2011) umgesetzt:
- Gäste – Setzen Sie sich dafür ein, Ihren Gästen die allerbeste personalisierte Hotel- und Restaurant-Erfahrung zu bieten und ihnen gleichzeitig Wissen zu vermitteln.
- Gesellschaft – Versuchen Sie, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung in Ihrer lokalen Gemeinschaft zu fördern – im Einklang mit deren Kultur, Tradition und Werten.
- Umwelt – Finden Sie heraus, ob Ihr Unternehmen auf ein Erbe zurückblicken kann, das mit Verantwortung einhergeht. Nutzen Sie, wo immer möglich, Leitungswasser und natürliche Wärmequellen und vermeiden Sie die Entstehung von Plastikmüll. Erfassen Sie die Dienstleistungen und Materialien, die Ihr Unternehmen benötigt, und recherchieren Sie, ob auch nachhaltigere Optionen zur Verfügung stehen.
- Zulieferer und Partner – Streben Sie dauerhafte Beziehungen an. Kaufen Sie saisonal und lokal ein.
- Angestellte – Schaffen Sie eine Kultur der Anerkennung in einer flachen Hierarchie. Versuchen Sie, allen Beschäftigten Ganzjahresstellen zu bieten.
3) Design-Elemente intelligent einsetzen
Auf dem Weg durch das Gebäude finden Gäste kleine Details mit Bezug zum Gletscher und seiner Geschichte: von Lampen in Eiswürfelform über historische Fotos bis hin zum Logo – es ist fast unmöglich, hier nicht neugierig auf die Geschichte hinter dem Hotelnamen zu werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung
«Im Jahr 2010 konnte man den Gletscher vom Hotel aus noch sehen. Inzwischen hat er sich auf eine Höhe von 1500 Metern über uns zurückgezogen. Wir können anderen Unternehmern nur raten, ihr Umfeld mit offenen Augen zu betrachten und sich zu fragen, ob ihr Geschäft als Katalysator für den Wandel dienen kann – auch wenn dieser Wandel am Anfang sehr geringfügig erscheinen mag», sagen die Eigentümer des Boutique Hotel Glacier.