Welche Kapitalanlage ist besser? Eine, bei der die Chancen auf einen grossen Gewinn und einen hohen Verlust gleich hoch stehen? Oder eine, bei der die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts erheblich niedriger ist und die einen unverhältnismässig geringen, dafür aber sichereren Gewinn verspricht?

Die meisten Anleger würden sich bei einer solchen Auswahl für die Investition mit dem geringeren Verlustrisiko entscheiden. Aus mathematischer Sicht hat die erste Option jedoch einen höheren Erwartungswert als die zweite. Bei der ersten handelt es sich um eine rationale Entscheidung, die aber weder nach einer solchen aussieht, noch sich danach anfühlt. Emotionen haben gegenüber rationalen Argumenten nahezu immer mehr Gewicht, wie es scheint. Woran liegt das, und lässt sich ihrem Einfluss auf Anlageentscheide gegensteuern?

Wir sind uns impliziter Verhaltensmuster bewusst geworden

«Jeder Mensch wird von Emotionen getrieben – mehr, als wir zugeben möchten. Emotionen sind die Triebkräfte unseres Verhaltens, und diese Verhaltensmuster prägen unsere Herangehensweise an Kapitalanlagen, positiv wie negativ», so Christian Gattiker, Head of Research bei Julius Bär. Emotionen haben eine derartige Macht über uns, dass wir ihnen sogar dann erliegen, wenn wir vorgewarnt sind. «Man muss oft erst schmerzlich lernen, dass Intuition und Emotionen Fallstricke sind.»

Einer der häufigsten Fehler besteht darin, Aktien, die im Kurs steigen, zu früh zu verkaufen und solche zu lange zu halten, die an Wert verlieren. «Dieses Verhalten ist sehr weit verbreitet und eine der typischsten Stolperfallen», erklärt Gattiker. «Menschen sehen einerseits einen Gewinn und wollen diesen gleich realisieren, weil sie fürchten, dass sich das Blatt wenden könnte. Andererseits verlieben sie sich in eine bestimmte Aktie und wollen nicht glauben, dass diese nicht mehr gefragt ist. Niemand ist gegen diese trügerischen Verhaltensmuster immun. Das gilt nicht nur für private Anleger, sondern auch für professionelle Fondsmanager.»

Die Verhaltensmuster sind implizit und werden deshalb häufig übersehen bzw. sind nicht bekannt. Das erklärt vielleicht, warum die meisten Menschen bei Anlageentscheiden zwar von ihren Emotionen beeinflusst werden, dies aber auf konkrete Nachfrage verneinen würden. Das Problem zu leugnen ist die grösste Hürde. «Fragen Sie 100 Menschen, wie sie ihre eigenen Fahrkünste einschätzen, und die überwiegende Mehrheit wird Ihnen erzählen, dass sie überdurchschnittlich gute Fahrer sind. Aber das kann unmöglich zutreffen. Wenn Sie das Wort ‹Autofahrer› durch ‹Anleger› ersetzen, erhalten Sie das gleiche Antwortmuster», erklärt Gattiker.

Es ist eine grausame Wahrheit, aber die meisten von uns haben eine zu hohe Meinung von sich selbst. Die Erkenntnis, dass wir selbst die gleichen Fehler machen können wie andere Anleger, kann demütig machen. «Festzustellen, dass man einem der typischen Verhaltensfehler erlegen ist, ist schmerzlich», sagt Christian Gattiker.

Die grössten Fehler und Fallen

  • Wir schenken Erzählungen mehr Glauben, die unsere Meinung stützen, als solchen, die das nicht tun.
  • «Herdenverhalten» – Anleger folgen alle derselben Richtung in der Annahme, dass die Person am Kopf der Herde mehr weiss als sie selbst.
  • Lähmung durch die Sorge, man könnte das Falsche tun – dieses Phänomen tritt häufig nach einer Marktkrise auf, die die Anleger aufgeschreckt hat.
  • Zu lange an Verlierern festhalten und Gewinner zu früh verkaufen: Ersteres geht auf die lähmende Feststellung zurück, dass der Buchwert der Anlage unter den Kaufpreis fällt; Letzteres auf Ungeduld und das Bestreben, einen Gewinn rasch einzustreichen.

Häufige Stolperfallen durch Urteilsvermögen und Regeln vermeiden

Eine Lektion besteht darin zu erkennen, dass Regeln einen Sinn haben und es wichtig ist, sie systematisch anzuwenden. Aber auch das ist längst nicht alles. Würden Regeln alleine reichen, würden Maschinen immer bessere Anlageentscheide treffen als Menschen. Aber dem ist nicht so. «Das Problem bei Maschinen liegt darin, dass sie zwar gut regelbasierte Anlageentscheide treffen können, aber kein Urteilsvermögen haben. Sie handeln in der Regel also eher prozyklisch», erklärt Gattiker. «Selbst wenn sie auf Contrarian programmiert sind, folgen sie noch immer dem Zyklus.»

Aus diesem Verhaltensmuster kann man ausbrechen, indem man Urteilsvermögen und Regeln komplementär anwendet, anstelle nur auf eines von beidem zu vertrauen. Urteilsvermögen ist nötig, um die Dynamik von Marktbewegungen zu verstehen, aber auch, um die Zahlen mit kühlem Kopf regelbasiert zu beurteilen.

Ausserdem ist es wichtig, die eigenen Ansichten immer wieder von anderen hinterfragen zu lassen. Bei Fondsmanagern geschieht dies über das System der Checks und Balances. An jedem Entscheid sind mindestens zwei Menschen mit jeweils sehr unterschiedlichen Sichtweisen beteiligt. Auch wenn Entscheide in erster Linie auf Anlageprozessen beruhen, kommen doch auch verschiedene Ansichten dabei zum Tragen. «Erfahrene Fachleute denken nicht alle gleich. Ihr Portfolio wird sich besser entwickeln, wenn es nicht von einer Person, sondern von einer Gruppe verwaltet wird», so Gattiker.

Kontaktieren Sie uns